"Sam, Sammlung, Zusammen!"

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Projektgegenstand Der Projektname enthält die Sanskrit-Silbe "sam" (zusammen), die auf den Grundton "Sa", den gemeinsamen Einsatzpunkt im metrischen Zyklus und auch auf Zusammenklang (samvâdi) verweist. Der Name des Forschungsprojekts bezeichnet somit den gemeinsamen Nenner, welcher der differenzierten Lehr-, Aufführungs- und Interpretationspraxis von Musik, Tanz und Theater Südindiens zugrunde liegt. Mündliche Überlieferung und effiziente Lernprozesse werden hiermit dokumentiert, erhalten und hierzulande wie auch in Indien neuen Zielgruppen erschlossen.

Die Ziele der Forschungsarbeit Der Titel "Sam, Sammlung, Zusammen!" besagt, dass Kindern, Jugendlichen und Erziehern die Möglichkeit zum gemeinsamen Musizieren geboten wird. Zur Teilnahme sollen Stimme und Hände genügen, ohne dass Vorkenntnisse der indischen Musik notwendig sind. Durch das Einbeziehen visueller Elementen, Gesten und Zahlenspiele wird eine Lücke im heutigen Lehrangebot geschlossen. Keralas überlieferte Lernweisen sollen pädagogisch aufgearbeitet werden, um sie mit neu entwickelten Lehrmitteln und durch Medienangebote zu vermitteln. Auch soll das Verständnis für eine andere Kultur geweckt werden.

Vorgehen Musiker, Musikpädagogen, Studenten und darstellende Künstler wurden befragt und ihre Antworten zusammen mit Einblicken in ihre Arbeit dokumentiert. Ein zehntägiger Workshop gab ihnen und der interessierten Öffentlichkeit die Gelegenheit, tradierte Lehrmethoden zu demonstrieren. Diese wurden im abschliessenden Symposium hinterfragt. Ihre Bedeutung in modernen Ausbildungsgängen wurde in Frage gestellt und neue Perspektiven erörtert. Anschliessend haben wir unsere Projektarbeit in Kerala und hierzulande fortgesetzt. Eine Auswahl von Übungen wurde gemeinsam mit Sonderpädagogen in Tavannes erfolgreich erprobt. Die dabei gemachten Erfahrungen bilden die Grundlage einer musikpädagogischen Veröffentlichung, die in Vorbereitung ist.

Ergebnisse Melodisch deklamierte und gesprochene Silbenfolgen spielen eine grosse Rolle in Keralas Musik, Tanzkunst, Drama und Kampfsport. Dieses regionalspezifische Phänomen wird als Vaitari bezeichnet und bildet eine Entsprechung zur europäischen Tradition der Gedächtnisschulung. Vaitari beinhaltet sinnreiche wie "sinnlose" Laute. Es handelt sich hierbei nicht um ein geschlossenes Lehrsystem. Vielmehr wird die künstlerische Arbeit durch Gedächtnisstützen wie Gesten, Bilder, Symbole, Mythen und die damit assoziierten Gefühle unterstützt, die mitunter aus Alltag und Ritualen vertraut sind. Darüber hinaus versteht man unter Vaitari auch Brauchtum wie beispielsweise das Jubeln bei Festen und Wettbewerben.

Innovationsgehalt (1) Erweiterung des musikpädagogischen Vokabulars als Teil des interkulturellen Dialogs bei gleichzeitiger Erfahrung von bewährten traditionellen Lehrmethoden in zeitgemässer Form (z.B. Multimedia, e-learning, Fachpublikationen, Workshops; Musiktherapie).
(2) Integration vieler in Indien üblicher und seit Jahrhunderten bewährter Techniken in die westliche Musikpädagogik. Dies soll im Sinne der kaum jemals systematisch angewandten "Ars Memoriae" (s. Frances A. Yates, The Art of Memory, Penguin Books 1978) verstanden werden, denn in Indien besteht weiterhin der Zusammenhang zwischen der Symbolik, die in Ikonographie und Architektur einerseits, und derjenigen, die in Epen, Liedtexten, Tanzgesten und Attributen anzutreffen ist, andererseits.
(3) Erarbeiten musikalischer Angebote für die Behindertenarbeit, Musiktherapie und Rehabiliationsprogramme losgelöst von der Beschäftigung mit indischer Kultur. (Hier seien die langjährigen Workshop-Erfahrungen von Ludwig Pesch an der Caduceus Klinik in Bad Bevensen genannt). Es ist auch die Zusammenarbeit mit KunsttherapeutInnen geplant.
(4) Sensibilisierung für andere Kulturen in einer Zeit zunehmender Globalisierung. Angesichts der gängigen und oft auf kurzlebige Effekte ausgelegten Verwendung indischer Musik im Westen ist eine Vertiefung der pädagogischen Zusammenarbeit mit Indern nicht nur wünschenswert, sondern geradezu notwendig. (Die Zusammenarbeit von Ludwig Pesch und Gopal Venu hat in diesem Sinne bereits Früchte getragen, z.B bei der Vorbereitung des Nachschlagewerkes Raga Dhana: An Alpha-Numerical Directory of Ragas, Irinjalakuda 1993 sowie mehrere Symposien in Indien).
(5) Beitrag zum besseren Verständnis der Kontinuität informeller (d.h. mündlicher) Lehrmethoden, wie sie in ganz Indien üblich sind (Ashok Ranade, The Garland Encyclopedia of World Music, S. 468-477).
Angesichts der massiven kulturellen Umwälzungen im Zuge der Globalisierung bleibt dafür nur wenig Zeit.

Frühere Projekte der Beteiligten Die Zusammenarbeit zwischen Gopal Venu und Ludwig Pesch erstreckt sich über fast zwei Jahrzehnte und mehrere Fachbereiche (Musik, Tanz und Theater). Es verbindet sie das erfolgreiche Wiederentdecken und Beleben alter, mitunter vom Vergessen bedrohter Techniken, Kenntnisse und Kulturtraditionen für unsere Zeit. Ihre Forschungsprojekte, Produktionen und die von ihnen gegründeten Institutionen geben vielen erfahrenen Künstlern verschiedener Fachrichtungen neue Chancen für eine würdevolle Existenz.  Experten und besonders der künstlerische Nachwuchs sind seit dem Niedergang des örtlichen Mäzenatentums darauf angewiesen, ein neues Publikum zu erschliessen. Dabei haben veränderte gesellschaftliche Verhältnisse und zeitgemässe Formen der Präsentation (z.B. internationale Festivals und Massenmedien) die Notwendigkeit einer langen Ausbildung keineswegs vermindert. Allen Beteiligten ist dabei deutlich geworden, dass die Art der Vermittlung grössere Aufmerksamkeit verdient. Nur ein bewusster Umgang mit diesem Thema kann den Wert lebendiger Kulturtraditionen auf eine Weise verdeutlichen, der für Laien und Mitarbeiter der zuständigen Behörden gleichermassen verständlich ist. Gopal Venu und Mitarbeiter von Natana Kairali (dem von ihm gegründeten Zentrum für die Erforschung der Bühnenkünste Keralas und Förderung des Nachwuchses) lieferten zuvor originäre Programmbeiträge (Tanz- und Theaterauftritte sowie Vorträge). Dies geschah im Rahmen zweier mehrtägiger Symposien, die Ludwig Pesch am Goethe-Institut Madras organisiert hatte. Sie wurden vom indischen Fachpublikum geschätzt und in mehrere Rezensionen als Glanzleistungen bezeichnet: "Presentation of the Performing Arts" (1986) und "Homage to Max Mueller" (2000).

Musiktraditionen In Kerala leben noch uralte Musiktraditionen, die nach Ansicht von Fachleuten vielfältige Rückschlüsse auf anderwärts lange verlorene Traditionen Südindiens zulassen. Die wichtigsten Stilrichtungen Keralas werden unter dem Begriff Sopana Sangitam zusammengefasst, denn sie sind noch immer täglich bei den Stufen (Sopana) alter Tempelheiligtümer zu hören. Ein Sänger begleitet sich dabei meist selbst auf der sanduhrförmigen Idakka-Trommel, die auch in verschiedenen Tanz- und Theaterformen eine wichtige Rolle spielt.
Im Vergleich zur Kunstmusik Südindiens (Karnataka Sangitam), die inzwischen auch in Kerala weiter verbreitet ist, gilt der Sopana-Gesang zwar als einfacher, wird dafür aber wegen seiner grazilen und lieblichen Stilmerkmale besonders geschätzt.
Als Begleitung von Kathakali-Tanzdramen und Mohiniyattam-Tänzen sowie in religiösen Liedern ist der reine Sopana-Stil inzwischen recht selten geworden. Doch in volkstümlichen Weisen und in Keralas Unterhaltungs- und Filmmusik ist sein Einfluss weiterhin deutlich spürbar.

© Die Projektinitiatoren und deren Partner

Hochschule der Künste Bern, Forschungsschwerpunkt Interpretation (8. Mai 2014) 
https://hkb-interpretation.ch/index.php?id=117 
Emanuel Wüthrich (Dozent, BFH/HKB Abteilung Musik), Projektleiter in Zusammenarbeit mit Ludwig Pesch

Aktualisierung
12 Juni 2024